Handbuch

Schauen wir uns zunächst die Arbeits- und Lebenssituation von Dokto­randen an. Wenn Sie sich rechtzeitig in diese Lage hineindenken, kön­nen Sie im Voraus abschätzen, was möglicherweise auf Sie zukommt, wenn Sie sich zu einer Promotion entschließen. Falls Sie bereits an Ilirer Dissertation arbeiten, werden Sie nach der Lektüre vielleicht besser ver­stehen, warum Sie manchmal so sehr unter Ihrer Situation leiden und warum das Arbeiten Ihnen zeitweise so schwer fällt. Hoffentlich gewin­nen Sie außerdem eine Menge neuer Anhaltspunkte, wie Sie manche Klippen umschiffen und Defizite kompensieren können.

Zuerst gilt es, nach den Motiven zu fragen, mit denen Doktoranden sich einer Promotion zuwenden. Wenn Sie wissen, welche Art von Moti­vation für die Arbeit erforderlich und günstig ist, können Sie Ihre eigene Motivation daraufhin prüfen.

Anschließend gilt das Augenmerk der Arbeitssituation des Dokto­randen. Sie erscheint vielen zunächst sehr verlockend, weil sie die Frei­heit bietet, sich die Zeit selbst einzuteilen und sich völlig den eigenen wissenschaftlichen Interessen zu widmen. Die Kehrseite ist jedoch, dass man allein und ganz auf sich gestellt am Schreibtisch arbeitet und wenige Möglichkeiten hat, sich mit anderen auszutauschen. Manche Doktoran­den verlieren sich dabei in Selbstzweifeln, Ängsten und Unsicherheit. Ihnen fehlt das aufmunternde Feedback und die konstruktive Kritik von Kollegen sowie die intensive Anleitung und Unterstützung durch ihren Betreuer.

Viele fühlen sich damit überfordert, ihre Arbeitsmotivation ohne fremde Hilfe aufrechtzuerhalten und die häufigen Schwankungen des Sclbstwertgefühls auszugleichen. Der einzige Ausweg für sie besteht darin, sich aktiv Unterstützung zu suchen, indem sie sich um Kontakte und Kooperation bemühen.

Abgesehen von dem langwierigen Arbeitsprozess der Promotion ist aber auch der Lebensabschnitt an sich belastend. Der Doktorand macht in dieser Phase einen psychosozialen Entwicklungsprozess durch, der hohe Anforderungen an ihn stellt und ihn zwingt, seine Identität zu überdenken. Deshalb wird auch die soziale Rolle von Dok­toranden betrachtet und die Frage gestellt, wie sie ihr Identitäts- und Selbstwertgefühl festigen. Durch die Promotion rücken traditionelle Rollenmuster wie Familiengründung, berufliche Festlegung und gesellschaftliche Etablierung meist in die Zukunft. Die Doktoran­den bleiben zunächst darauf angewiesen, sich ihre Identität in dieser vorübergehenden Phase individuell selbst zu schaffen. Die beruflichen Tätigkeiten, die ihnen offenstehen, bringen relativ wenig oder nur widersprüchlichen Statusgewinn ein: der gering entlohnte Dozent, der Doktorand mit einfachen oder wechselnden Jobs, der noch in Ausbildung befindliche Wissenschaftliche Assistent auf Zeit. Was der Doktorand inzwischen in Bezug auf seine Arbeit an der Diss leistet, ist für Außenstehende schwer einzuschätzen und wird daher auch kaum angemessen gewürdigt.

Die Analyse wird deutlich machen, dass Doktoranden trotz mangeln­der gesellschaftlicher Anerkennung ein klares und starkes Identitäts- .gefiihl besitzen, das sich auf den Wert ihrer wissenschaftlichen Arbeit und die damit verbundene schöpferische Leistung stützt. Persönlicher Ehrgeiz, starke Gefühle und hohe Ansprüche an sich selbst prägen das Verhältnis des Doktoranden zu seiner Diss. Daraus kann leicht ein Wechselbad der Gefühle entstehen - von euphorischen Höhenflügen bis zu bedrohlichen Selbstzweifeln. Gerade weil ihr Selbstwertgefühl so instabil ist, scheuen Doktoranden sich oft davor, ihre Arbeitsergebnisse zu präsentieren, und schieben diesen Schritt immer wieder hinaus.

Abschließend wird die Beziehung zum Doktorvater beziehungsweise der Doktormutter in den Brennpunkt gerückt. Sie gestaltet sich in der Regel nicht konfliktfrei. Es wird erörtert, wie man sich aus der Abhän­gigkeit vom Urteil dieser Autoritätsfigur emanzipieren kann, um einen eigenen wissenschaftlichen Standpunkt zu beziehen.


Was bringt Menschen mit erfolgreichem Hochschulabschluss dazu, sich auf eine Doktorarbeit einzulassen und sich einem weiteren Examen zu stellen? Ist es die Aussicht auf den Glanz des akademischen Titels vor dem Namen? Oder die Hoffnung, sich selbst auf diese Weise eine wissenschaft­liche oder sonstige berufliche Karriere zu eröffnen? Oder gibt es vielleicht noch ganz andere Motive? Das Interesse an der Sache selbst oder vielleicht ganz persönliche Beweggründe, wie beispielsweise den Drang, sich selbst zu beweisen, dass man zu Größerem fähig ist? Es lohnt sich, diese Motive einmal in den Blick zu nehmen, denn man muss bedenken, dass das Pro­movieren in Wirklichkeit alles andere als eine »Beförderung« ist - was es im ursprünglichen Wortsinn bedeutet. Im Gegenteil, das Projekt Dok­torarbeit verlangt dem Doktoranden eine Menge ab. Außer der nötigen intellektuellen Kompetenz sind auch ein hoher Arbeitseinsatz und große Ausdauer erforderlich, denn eine Doktorarbeit zu schreiben, ist mitunter ganz schön langwierig und mühsam. Man muss gewaltige Kräfte auf sie verwenden und ihr ein beträchtliches Stück Lebenszeit widmen!

Der Weg des Promovierens ist für die meisten Doktoranden offen und unbestimmt - der eigenen Gestaltung überlassen. Anders ist es bei der strukturierten Promotion, die seit einigen Jahren mit reformerischer Ziel­setzung zunehmend Eingang in die Hochschulen findet: Zu größeren, meist interdisziplinären, von der DFG geförderten Forschungsprojekten werden an den Hochschulen sogenannte Graduiertenkollegs gebildet, die für die daran beteiligten Promovierenden ein festes Programm von Ver­anstaltungen und Kooperationsbeziehungen vorsehen. (Am Ende dieses Kapitels wird ausführlicher darüber berichtet.) Der Anteil der Dokto­randen, die gegenwärtig in solch strukturierten Ausbildungsgängen stu­dieren und forschen, macht jedoch einen relativ geringen Anteil an der Gesamtzahl der Promovierenden aus. Die überwiegende Mehrzahl ist also darauf angewiesen, den Weg zum Doktortitel selbst zu gestalten.

Die Promotionsordnung, die Sie auf jeden Fall gut kennen sollten, legt lediglich die Zulassungsvoraussetzungen und die Form der Prüfung fest. Die Ausgestaltung - das heißt, wie Sie Ihr Projekt fachlich angehen und organisieren - liegt ganz bei Ihnen. Manchmal beginnt man zu glauben, man müsse erst einen Pfad durch einen Dschungel schlagen, bevor die Expedition ins unbekannte Reich der Wissenschaft beginnen kann. Und am Ende des Dickichts steht vielleicht eine kleine Erleuchtung - das Licht der Erkenntnis -, aber kein großer Sieg. Da erwartet Sie niemand, um Sie mit der Eintrittskarte in eine wissenschaftliche Karriere zu belohnen. Ob Sie Ihre sonstigen beruflichen Chancen damit verbessern, ist ungewiss. Aber schließlich verlangt auch niemand von Ihnen, dass Sie promovieren. Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen. Warum sollten Sie es also tun? Wolür lohnt es sich, seine Kräfte auf eine Doktorarbeit zu konzentrieren?


Fragen wir zunächst, was andere Doktoranden dazu bewogen hat, sich für eine Doktorarbeit zu entscheiden. Die folgenden Beispiele stammen aus Interviews, die ich mit Doktoranden durchgeführt habe. Sie spiegeln die unterschiedlichen Motivationslagen und deren Vielschichtigkeit viel besser wider als

Wenn der erste Schritt getan und die Arbeit ernsthaft im Gange ist, dann müssen die Doktoranden sich auf weiten Strecken als Einzelkämpfer durchschlagen. Sie verbringen einen Großteil der Arbeitszeit allein am Schreibtisch - die meisten zu Hause im »stillen Kämmerlein« oder am Schreibtisch des Instituts, in dem sie beschäftigt sind -, denn die geistige Arbeit erfordert Ruhe und Abgeschiedenheit.

Diejenigen, die ihre Dissertation durch ein Stipendium finanzieren, sind dabei häufig ganz auf sich gestellt. Wer nicht in ein Projekt und eine Institution eingebunden ist, arbeitet als Einzel- und Heimarbeiter und entbehrt dabei die Vorzüge von Teamarbeit, Beziehungen mit Kollegen und informeller Kommunikation über die Arbeit.

Die angestellten Wissenschaftlichen Assistenten haben zwar mehr Möglichkeiten zur Kooperation und zum Austausch mit Kollegen - worum sie von anderen Doktoranden häufig beneidet werden -.«aber über das Thema ihrer Doktorarbeit wird ebenfalls nur selten gesprochen. Meist stehen ganz andere Institutsprojekte im Vordergrund.

Regelmäßige Kontakte mit dem Betreuer der Arbeit, dem Doktor­vater, sind eher die Ausnahme als die Regel. Meist muss der Dokto­rand schon selber die Initiative dazu ergreifen. Auch das Vorstellen der Arbeit im Doktoranden-Kolloquium oder in einem Hauptseminar ist ein seltenes, punktuelles Ereignis und entsprechend außerordentlich bedeutsam. Von diesen wenigen Gelegenheiten abgesehen, kommen die meisten Doktoranden kaum in den Genuss von positivem Feedback. Ihr Bedürfnis nach Anerkennung und Austausch mit Kollegen bleibt unbe­friedigt.


Doktoranden werden oft von anderen, die im gleichen Alter schon im Berufsleben stehen, um ihre Chance zur freien Zeiteinteilung benei­det. Sie können ihren Arbeitsalltag selbst organisieren und nach ihren Bedürfnissen gestalten - fast so locker wie im Studentenleben. Häufig sind Doktoranden damit jedoch überfordert, ebenso wie übrigens auch viele Studenten. Die Zeit läuft ihnen davon, sie schaffen nicht das, was sie sich vorgenommen haben, und geraten in die Versuchung, Dinge auf die lange Bank zu schieben. Das spannungsreiche Verhältnis zur Dissertation trägt mit dazu bei, dass sich leicht innere Barrieren gegenüber der Arbeit aufbauen: Man misst ihr einen derartigen Stellenwert bei und schraubt die eigenen Ansprüche so hoch, dass man sich dadurch selbst blockiert.

Eine andere Gefahrenquelle liegt darin, dass die Arbeitszeit nicht von außen geregelt und kontrolliert wird und es weder Vorgesetzte noch Kol­legen gibt, die merken würden, wenn man sich vor der Arbeit drückt. Man muss darum schon ein gehöriges Maß an Selbstdisziplin und -Orga­nisation aufbringen, um die Sache nicht schleifen zu lassen.

Gut geplante und klar strukturierte Arbeiten sind die ganz große Ausnahme. Die meisten Promotionsvorhaben gleichen vielmehr monst­rösen Riesenprojekten, bei denen kein Ende abzusehen ist. Entsprechend scheut man eher ängstlich davor zurück, die Sache beherzt anzupacken. Der immense Umfang des Gesamtwerks und die Tatsache, dass man in jeder Arbeitsphase nur einen verschwindend geringen Anteil davon bewältigen kann, geben einem das frustrierende Gefühl, dass man noch endlos weit vom Ziel entfernt ist und nur in winzigen Schritten vorwärts kommt. Ertolgserlebnisse stellen sich dadurch kaum ein.

Doktoranden leiden deshalb häufig unter dem Gefühl, nicht genü­gend geschafft zu haben. Um ihr ständiges schlechtes Gewissen zu beru­higen, stürzen sie sich häufig noch spätabends in die Arbeit und gönnen sich auch am Wochenende keine Freizeit. Sie stehen ständig unter inne­rem Leistungsdruck und haben kaum je das Gefühl, ihre Freizeit richtig genießen zu dürfen. Nur wenigen gelingt es, ihre Arbeit systematisch zu planen und einen geregelten Arbeitsalltag zu organisieren. Den meisten fehlt es dafür an Zeitsouveränität, das heißt an der Fähigkeit, mit ihrer Zeit selbstbestimmt umzugehen.


Berufssituation und Gelderwerb von Doktoranden können ganz unter­schiedlich aussehen. Eine feste Stelle im Bereich von Forschung und Lehre - entweder an einer Hochschule oder in einem Forschungsinsti­tut - bietet die günstigsten Voraussetzungen zum Promovieren. Etwa die Hälfte aller Doktoranden finanzieren sich auf diese Weise. Sie beziehen aus ihrer Tätigkeit als angestellte Wissenschaftler berufliche Identität und soziales Ansehen. Diese Anerkennung erstreckt sich sekundär auch auf ihren Doktorandenstatus, denn sie befinden sich damit zwar noch im Stadium der Entwicklung und Weiterqualifizierung, aber ihre Arbeit an der Diss wird als Teil der regulären beruflichen Aufgabe gesehen.

Anders sieht es bei den Doktoranden aus, die ein Promotionssti­pendium beziehen. Sie sind sozusagen »hauptamtlich« Doktoran­den, also Lernende, die sich in der Vorbereitung auf die Prüfung zum Doktor (wortwörtlich: Lehrer) befinden. Dass ihnen ein Stipendium gewährt wurde, bedeutet allerdings schon eine gewisse Anerkennung für ihre Arbeit an der Dissertation - schließlich hat eine angesehene Institution das Promotionsvorhaben geprüft und als förderungswür- dig befunden!

Stipendiaten, die zum Beispiel ein vom jeweiligen Bundesland geför­dertes Stipendium wie das Nafög in Berlin oder das einer Stiftung zur Begabtenförderung beziehen, sind zwar ebenso wie Wissenschaftliche Mitarbeiter noch auf dem Wege zum »fertigen« Wissenschaftler, ste­cken aber stärker als diese in einem Zwischenstadium von Ausbildung und Entwicklung und sind damit dem Status von Studierenden näher. Sie stehen sozusagen mit einem Bein da und mit dem anderen dort, denn in manchen Funktionen treten sie auch als »vollwertige« und selbst­verantwortliche Wissenschaftler und Dozenten auf, zum Beispiel dann, wenn sie einen Lehrauftrag übernommen haben oder wissenschaftliche Vorträge halten.


Abgesehen von den - auf Zeit - fest angestellten Wissenschaftlichen Assistenten leben die meisten Doktoranden in ziemlich bescheidenen Verhältnissen. Sie gehören zu den einkommensschwachen Gruppen. Ihr Lebensstandard ist entsprechend eingeschränkt und fällt gegenüber dem Durchschnitt ihrer Altersgruppe erheblich ab. Sie können sich viele Statussymbole wie zum Beispiel Auto, Eigentumswohnung, kostspielige Hobbys und teure Urlaubsreisen nicht leisten. Sie leben in ihrem fort­geschrittenen Alter noch immer in ganz ähnlichen materiellen Verhält­nissen wie Studierende und setzen häufig auch den sozialen Lebensstil der Studentenzeit fort, beispielsweise das Wohnen in der offenen Form der Wohngemeinschaft. Viele der Doktoranden, mit denen ich gespro­chen habe, hatten das Gefühl, dass sie mit ihrem niedrigen Einkommen einen hohen Preis für ihre Entscheidung zahlten.


Über das Gesagte hinaus gilt für alle Doktoranden gleichermaßen, dass ihre berufliche Zukunft noch völlig ungesichert ist. Ob die Promotion ihnen die Tür zu einer erfolgreichen Karriere öffnen wird, ist ungewiss. Im Gegensatz zu früher ist der Doktorgrad heutzutage durchaus keine Garantie mehr für eine gehobene berufliche Laufbahn. Entsprechend tragen die Zukunftsaussichten nur wenig dazu bei, den Doktoranden in seinem Identitäts- und Selbstwertgefühl zu bestärken.

Auch die Solidarität und Identifikation mit Gleichgesinnten bringt wenig Bestätigung ein. Weder in der Universität noch außerhalb in der Gesellschaft treten Doktoranden als Status- oder gar Interessengruppe in Erscheinung. Das mag im Rahmen von Graduiertenkollegs, Inter­national Max Planck Research Schools und vielleicht auch in Graduier­tennetzwerken schon anders sein. Der Großteil der Doktoranden führt immer noch ein Schattendasein. Allerdings finden die Probleme der Pro­movierenden in der aktuellen hochschulpolitischen Diskussion zuneh­mend Beachtung. Der Verein »Thesis« wie auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft haben damit begonnen, sich der Interessen von Promovierenden anzunehmen.

Das bisher Gesagte macht deutlich, dass die Bedingungen alles andere als günstig dafür sind, vor der Gesellschaft, aber auch in der eigenen Einschätzung gut dazustehen. Überspitzt formuliert könnte man fol­gern: Doktoranden müssen verrückt sein, wenn sie sich auf eine solche Lebenssituation einlassen. Offenbar gibt es aber doch einen Anreiz, der stark genug ist, um sämtliche Nachteile aufzuwiegen. Die meisten Doktoranden stellen ihre Doktorarbeit so sehr in den Mittelpunkt ihres Lebens, dass die anderen Aufgaben des Erwachsenenlebens daneben an Bedeutung verlieren. Lebensziele wie Familiengründung, Existenzsi­cherung und gesellschaftliche Integration rücken in die Zukunft. Wer noch nicht in einer festen Beziehung lebt, verschiebt oft sogar die Part­nersuche oder die Entscheidung darüber, ob er eine Bindung eingeht, auf später und bleibt vorerst Single oder legt bestehende Beziehungen auf Eis.


Irgendwann kommt es dann jedoch zu dem Wendepunkt, den Janine beschreibt - nämlich dann, wenn man als Doktorand zu begreifen beginnt, dass der Doktorvater einem gar nicht so haushoch überlegen ist, wie man angenommen hatte; wenn man merkt, dass man selbst auf dem betreffenden Gebiet über größeres oder zumindest gleichwertiges Wissen verfügt.

Wenn man sich dessen bewusst wird, dass man die eigene Kompe­tenz inzwischen erheblich erweitert hat, setzt der Prozess der Emanzi­pation ein. Sein Ziel ist Autonomie und eigenständige Positionierung. In manchen Beziehungen führt der weitere Weg dorthin allerdings zu heftigen Konflikten, denn so mancher Doktorvater erweist sich durchaus nicht als kluger und verständnisvoller Vater, sondern ver­sucht, seine Machtposition zu behaupten, indem er seine Autorität ausspielt.

Es fällt sehr schwer, sich aus der Bindung an eine mächtige Elternfigur zu lösen und Ablehnung zu riskieren, wenn das Selbstbewusstsein von Zweifeln erschüttert ist und man nach wie vor das Bedürfnis nach Aner­kennung hat. Immerhin handelt es sich beim Doktorvater ja auch um ein Vorbild, dem man nacheifert. Die Identifikation mit der überlegenen Autoritätsfigur macht es umso schwerer, den eigenen Weg zu gehen und sich selbst zum Doktor zu emanzipieren.

In der Vergangenheit wurde in Deutschland fast ausschließlich promo­viert nach dem Modell der Einzelbetreuung eines Doktoranden durch Doktorvater oder Doktormutter als Hauptgutachter, ergänzt durch einen Zweitgutachter, der in der Regel weniger betreut als begutachtet. Nachteile und Mängel dieser traditionellen Doktorandenbetreuung in Deutschland gerieten zunehmend in die Kritik von bildungs- und hoch­schulpolitischen Debatten. Im Zusammenhang mit den Bestrebungen nach einer Vereinheitlichung der Hochschulausbildung im europäischen Raum, dem sogenannten Bologna-Prozess, der zur Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen führte, wurde die Phase des Pro­movierens als dritte Phase der Hochschulausbildung gesehen und neu bewertet: Sie spielte plötzlich eine Rolle im Zusammenhang mit der För­derung der deutschen Wissenschaft im internationalen Wettbewerb, ins­besondere der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Eliteförderung. Vorbildlich erschienen die Modelle strukturierter Pro­motionsausbildung wie sie im angloamerikanischen Raum an den Gra- duate Schools anzutreffen sind: Neben einer intensiven Betreuung durch Hochschullehrer ist darin für die Doktoranden auch ein verbindliches Curriculum vorgesehen. Seit den neunziger Jahren entwickelten sich in der deutschen Hochschullandschaft an den Universitäten recht unter­schiedliche Ansätze strukturierten Promovierens. Die unterschiedlichen Kooperationsbeziehungen zwischen Hochschule, Forschungsinstitu­tionen - wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) - und den diversen Förderorganisationen führten zu Initiativen von verschiedenen Seiten und zu verschiedenartigen Angeboten von Graduiertenausbildung und -betreuung. So können Doktoranden sich heute mit ihrer Promo- tion in den Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts mit anderen Doktoranden und Hochschullehrern einbinden und dabei ein verbind­liches Weiterbildungsprogramm absolvieren. Oder sie können sich auch mit ihrer einzelnen Forschungsarbeit einem an der Hochschule einge­richteten offenen Netzwerk zuordnen, das die Kommunikation zwischen Doktoranden über Fachbereichsgrenzen hinaus erleichtern will und ein fakultatives Kursangebot bereitstellt. Damit könnte dem Einzelkämpfer- tum des Doktoranden ein Ende bereitet sein. Aber es stellt sich die Frage, ob damit auch die geschilderten Probleme von Doktoranden beseitigt sind. Hier zunächst zur besseren Orientierung ein kleiner Uberblick über die verschiedenen Modelle (vgl. Kehm 2006). Ausführlichere Beschrei­bungen dazu finden sich zum Beispiel im GEW-Handbuch Promovieren mit Perspektive (2006).


Die geschilderten Arbeitsbedingungen und Betreuungsformen eines Gra­duiertenkollegs lassen eine hohe Zufriedenheit der Teilnehmer erwarten. Aber wie sieht es »von innen« aus? Ich habe dazu einige Stipendiaten eines DFG-geförderten Graduiertenkollegs in den Geisteswissenschaften an der Freien Universität Berlin interviewt. Wenn diese Befragung auch nicht repräsentativ ist, so vermittelt sie doch einige Hinweise.

Als großer Vorteil des Promovierens im Graduiertenkolleg wird über­einstimmend der Austausch mit den anderen Mitgliedern angesehen, der auf den verschiedenen Plattformen stattfindet. Als besonders hilfreich wird der Austausch mit den Kollegen Doktoranden, den Leidensgenos­sen, erlebt. Ein verbindendes Gemeinschaftsgefühl ermöglicht auch das Reden über Schwierigkeiten mit der Diss.

Als anregend und gewinnbringend wird im Wesentlichen die wissen­schaftliche Kommunikation bewertet, die in den Kernveranstaltungen des Kollegs stattfindet. Dazu gehören insbesondere das Forschungskol­loquium, in dem alle am Projekt beteiligten Professoren vertreten sind, Seminare, Master Classes und Joint Symposia mit externen Kooperations­partnern. Im Kolleg genießt man den Vorteil, in einem »Forschungsver­bund mit hochkarätigen Leuten« zu arbeiten, wie ein Doktorand es aus­drückte.


Auch wenn die Bedingungen eines Graduiertenkollegs für die wissen­schaftliche Kommunikation und den Austausch mit Leidensgenossen im Vergleich zum Modell der Einzelpromotion wesentlich günstiger sind, bleibt die Arbeit an der eigenen Diss doch dem Einzelnen über­lassen und spielt sich über weite Strecken notwendigerweise »im stillen Kämmerlein« mit dem PC als einzigem Interaktionspartner ab. Kolle­giaten werden deshalb auch ganz ähnliche Schwierigkeiten wie die ande­ren Doktoranden erleben, wenn sie an ihrem eigenen Forschungsansatz arbeiten. Allerdings wirken sich in stärkerem Maße Korrektive auf ihren Arbeitsprozess aus.

Die Einbindungder Kollegiaten in das gemeinsame Forschungsprojekt und die damit verbundene wissenschaftliche Kommunikation stellt ste­tige Anforderungen an ihre Mitarbeit und integriert sie schon in einem frühen Stadium ihres Arbeitsprozesses in die Scientific Community. Das konfrontiert sie von Beginn an mit den konkreten Ansprüchen und Kriterien von Wissenschaft und fordert sie heraus, sich mit ihren eige­nen Ideen dem Urteil der Experten zu stellen. Diese Bedingung fördert den direkten Kontakt mit der Realität der Wissenschaft und verhindert vielleicht auch manche im Alleingang getroffenen Fehlentscheidungen und eingeschlagenen Irrwege. Sie schafft aber auch einen stärkeren Leis­tungsdruck, der den Freiraum für individuelle Kreativität einschränkt. Wie aus meiner Befragung der Kollegiaten hervorging, trägt die vom gemeinsamen Forschungsprojekt geforderte »Mehrarbeit« nicht immer zum stringenten Fortschritt der einzelnen Dissertation bei. Das mag denen widerstreben, die sich voll auf die Arbeit an ihrem Thema kon­zentrieren wollen.

Vorteilhaft für den Entwicklungsprozess der Einzelnen erscheint aber die selbstverständliche und wiederholte Forderung, den eigenen Beitrag zum Projekt offenzulegen, denn sie verlangt von den Promovie­renden, ihre inneren Kämpfe mit Selbstansprüchen und Selbstzweifeln zu bewältigen und ihre narzisstische Empfindlichkeit gegenüber der Kritik von außen zu überwinden. Das gemeinsame Forschungsprojekt müsste auch den Kontakt zum Hauptbetreuer und zu den anderen mit­beteiligten Wissenschaftlern erleichtern und dadurch die Feedback­möglichkeiten erweitern. Das scheint jedoch nicht in allen Kollegs zu gelingen, denn wie die eben zitierte DFG-Befragung von Kollegiaten zeigt, bleiben manche Wünsche der Doktoranden nach intensiverer Betreuung unerfüllt. Die günstige Konstellation, im Forschungsprojekt unter mehreren Ansprechpartnern wählen zu können, könnte sich neut­ralisierend aufdie tendenziell konflikthaltige Beziehungzu Doktorvater und Doktormutter auswirken, da sie ein Gegengewicht zur machtvollen Autorität des Einzelbetreuers schafft und die Bindung an seine Person lockert. Insgesamt erscheinen die Bedingungen eines Graduiertenkol­legs im Vergleich zur Einzelpromotion vielleicht auch besser geeignet, den Prozess der Ablösung und Emanzipation von der Autoritätsperson des Doktorvaters oder der Doktormutter zu begünstigen.


Falls Sie sich mit dem Gedanken tragen, sich für ein Graduiertenkolleg zu bewerben, sollten Sie zuvor gut überlegen, ob die vorgesehenen Struktu­ren Ihnen persönlich das Promovieren tatsächlich erleichtern. Stellen Sie fest, ob die Bedingungen eines Graduiertenkollegs Ihren Vorstellungen und Bedürfnissen entsprechen. Wenn Ihnen der fachliche Austausch mit Kollegen und Experten und die Einbindung in einen Projektrahmen sehr wichtig sind, dann sind Sie vermutlich auch bereit, dafür Zeit und Arbeit zu investieren. Wenn Sie aber dazu neigen, am liebsten ohne bestimmte Anforderungen von außen allein an Ihrem Thema zu arbeiten und für gelegentliche Kontakte zum Austausch selbst zu sorgen, dann sind Sie sicherlich nicht prädestiniert für ein Kolleg dieses Zuschnitts. Prüfen Sie, welches der möglichen Modelle des Promovierens zu Ihnen passt.


Wie die vorangegangenen Ausführungen deutlich gemacht haben, stellt das Promovieren hohe Anforderungen an die Bewältigungsfähigkeiten von Doktoranden. Wenn außerdem noch besondere Pflichten und Auf­gaben hinzukommen, dann sind Sie erst recht gefordert, Organisations­talente und Fähigkeiten zum Selbstmanagement zu entwickeln. Nicht jeder ist bereit, an das Motto »Man wächst mit seinen Aufgaben« zu glauben. Deshalb gilt es, gut zu überlegen, ob man sich auf das entspre­chende Wagnis einlässt! Eine besondere Herausforderung ist das Promo­vieren mit Kind.




Das Ziel, die Doktorarbeit zu »managen«, wird Ihnen vielleicht son­derbar oder gar befremdlich vorkommen. Es wirkt prosaisch, viel zu rational und technisch. Es steht im Widerspruch zu der verbreiteten Meinung, man müsse sich zuerst sehr gründlich in die Wissenschaft vertiefen und unvoreingenommen bereit sein, etwas Neues zu entde­cken, was man gar nicht vorhersehen kann. Skeptiker werden fragen: Lässt sich ein solches Projekt »managen«? Muss man nicht ins Unge­wisse aufbrechen und den gänzlich offenen Fragen folgen? Aber gerade in solchen Vorstellungen liegt die Tücke. Man läuft dadurch Gefahr, dass das Vorhaben aus dem Ruder gerät und man letztendlich sein Ziel nicht erreicht, sondern trotz aller Anstrengung auf der Strecke bleibt. Nur allzu viele Promotionsprojekte werden erfolglos abgebrochen. Das können Sie vermeiden, indem Sie von Anfang an mit planender Ver­nunft an das Projekt herangehen. Statt sich naiv-optimistischer Entde­ckerlaune hinzugeben, sollten Sie bestrebt sein, sich möglichst frühzei­tig Klarheit über Ihre Ziele zu verschaffen und sich an zweckrationalen Kriterien zu orientieren.

Wie man dabei vorgeht, zeigt Ihnen dieses Kapitel. Es wird zunächst auf den Umgang mit Zeit eingehen, der für viele Doktoranden eine große Problemquelle ist. Sie selbst sollen dadurch lernen, derartige Probleme zu vermeiden oder zu überwinden.

Anschließend wird deutlich werden, wie wichtig ein rationales Pro­jektmanagement ist. Sie werden zunächst einen klärenden Überblick über die notwendigen Phasen des Projekts vermittelt bekommen. Wei­terhin wird auf wichtige Projektbedingungen eingegangen, nämlich auf die Finanzierung Ihrer Promotionsphase und die Organisation der Betreuung durch Erst- und Zweitgutachter.

Anschließend lernen Sie die Prinzipien von Zeitmanagement und realistischer Arbeitsplanung kennen. Diese bilden den Mittelpunkt des Kapitels. Sie werden lernen, Arbeitszeit als eine wertvolle und begrenzte Ressource zu betrachten, mit der man zweckrational umgehen sollte. Anhand verschiedener Empfehlungen sollen Sie anschließend in der Lage sein, Pläne aufzustellen, die Sie auch tatsächlich erfüllen können.

Ihre Aufmerksamkeit wird darauf gelenkt, verbindliche Arbeitsziele zu stecken, die von außen kontrolliert werden, und auf nützliche und verwertbare Ergebnisse hinzuarbeiten.


Eine Doktorarbeit zu verfassen, ist ein sehr zeitaufwändiges Unterneh­men. Insbesondere die Doktoranden selbst unterschätzen dies häufig.

An ihrem Umgang mit Zeit fällt Folgendes auf:
  • Doktoranden verwenden sehr viel Zeit auf ihre Dissertation. Meist sind sie über viele Jahre hinweg mit ihr beschäftigt.
  • Sie gehen verschwenderisch mit ihrer Zeit um. Sie halten sich viel zu lange mit einzelnen Tätigkeiten wie zum Beispiel der Literatursuche und dem Lesen auf.
  • Sie investieren zu viel Zeit in Nebensächlichkeiten und formale Details.

Eine konkrete Projektplanung ist Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss eines Projekts, aber sie ist nicht alles. Es bedarf auch eines guten Projektmanagements. Diese Aufgabe scheint manche Doktoranden zu überfordern. Zum einen ist das Projekt in der Regel sehr umfangreich und arbeitsintensiv, zugleich aber nur ein Ein-Mann- beziehungsweise Eine-Frau-Projekt. Zum anderen ist der Doktorand in Personalunion Projektleiter beziehungsweise -manager, Projektbearbeiter und sein eige­ner Controller, das heißt derjenige, der das Erreichen der Ziele überwacht und Abweichungen verhindert beziehungsweise korrigiert. In seiner Füh­rungsrolle muss der Doktorand also zugleich selbst darauf achten, dass er schonend mit seinen Fähigkeiten und Ressourcen umgeht.

Der Großteil der Promovierenden, nämlich etwa zwei Drittel, finanziert sich, wie eine Thesis-Befragung von 2004 ermittelte, über Plan- oder Drittmittelstellen an der Universität oder in Forschungsinstituten. Nur etwa 20 Prozent beziehen ein Stipendium. Einen ausführlichen Über­blick über Finanzierungsmöglichkeiten der Promotion bietet der Artikel von Carsten Würmann im GEW-Handbuch (2006). Hier sollen nur die wesentlichen Informationen dazu kurz und knapp dargestellt werden.


Vergessen Sie über all den Zielen und Ansprüchen, die das Promotions­projekt nahelegt, nicht die eigenen persönlichen Ziele, die Sie mit der Promotion verbinden!

Vielleicht ist bei Ihnen nach der langen Studienzeit und den ersten Berufsjahren der Wunsch stark geworden, endlich ein Kind zu haben. Und Sie möchten die Chance eines Promotionsstipendiums auch dafür nutzen, sich den nötigen Freiraum für die Familiengründung zu schaf­fen. Sie werden die Dissertation dann vielleicht als eine zwar wichtige, aber nicht unbedingt zentrale Aufgabe Ihres Lebens betrachten.

Nach langen Berufsjahren ist bei Ihnen vielleicht das Interesse erwacht, aus dem Berufsalltag auszusteigen und sich einer Aufgabe, die mehr Tiefgang verspricht, als es die Praxis zulässt, zuzuwenden. Die Beschäftigung mit dem Thema ist dann vielleicht für Sie wichtiger als die Fertigstellung der Dissertation.

In manchen Fällen ist die Aufnahme einer Promotion auch nur als Überbriickungslösung gedacht, zum Beispiel dann, wenn sich nach dem abgeschlossenen Studium noch keine Aussicht auf eine attraktive Stelle bietet und deshalb die Promotion auch als Erwerb einer (inhalt­lichen oder auch nur formalen) zusätzlichen Qualifikation angesehen wird.

Bei Studienabsolventen, deren Eltern einen akademischen Abschluss oder gar einen Doktorgrad haben, liegt der Gedanke an das Promovieren sehr nahe und es wird von ihnen gar nicht mehr ernsthaft geprüft, ob er tatsächlich den eigenen Zielen entspricht.

In manchen Berufsfeldern erscheint es einfach als ein »Muss«, den Doktorgrad zu erwerben - so zum Beispiel den Chemikern, die damit ihre Karrierechancen in der Industrie verbessern wollen oder auch den Medizinern. Das macht jedoch das Ziel nicht automatisch zu einem eige­nen Anliegen!

In Kapitel eins wurde Ihnen empfohlen, Ihre Motivation daraufhin zu prüfen, ob sie den Anforderungen und Beschwernissen des Promo­tionsprojekts gewachsen ist. Hier möchte ich Ihren Blick darauf lenken, dass aus den ganz persönlichen Zielsetzungen auch bestimmte Erwar- tungen und Ansprüche resultieren: Ansprüche bezüglich der Dauer des Projekts und/oder auch Qualitätsansprüche. Diese sollten Sie sich bewusst machen!

Für die Dissertation als Überbrückungslösung muss man nicht unbe­dingt mit vollem Einsatz »sein Bestes geben«, aber man könnte sinn­vollerweise auch ein realisierbares Arbeitsprodukt anstreben - wie zum Beispiel ein erstes Literaturreferat.

Mit ähnlichem Anspruch könnte sich die werdende Mutter in ein Themengebiet einarbeiten, wobei es ihr nicht auf das Einhalten des durch das Stipendium vorgegebenen Zeitrahmens ankommt, sondern auf die Weiterbeschäftigung mit der Wissenschaft.

Für den promovierenden Chemiker, der seine Karrierechancen in der Industrie verbessern will, wird es sinnvoll sein, ein Thema zu wählen, das ihn für ein bestimmtes Tätigkeitsfeld qualifiziert, ihn aber auch kurz­fristig zum Erfolg führt.

Für diejenigen, die in der Promotion die Herausforderung sehen, einen wesentlichen Teil ihres Selbstbildes zu verwirklichen, wird der Arbeits- prozess vermutlich zu großem Engagement und hohem Anspruchsni­veau führen. Sie sollten auf jeden Fall darauf achten, ob sie nicht andere wichtige Lebensziele vernachlässigen.

Wenn es andererseits nur darum geht, den Doktortitel als weiteren akademischen Grad ohne explizite wissenschaftliche Ambitionen zu erwerben, dann tut man gut daran, die Ansprüche auf mittlere und gut zu erreichende Maßstäbe zu richten.


Auf die Phase der Literaturauswertung möchte ich ebenfalls nur kurz eingehen. Vermutlich haben Sie bereits Ihre eigene Lesemethode, auf die Sie schwören. Wenn Sie damit gut zurechtkommen, sollten Sie sie auch beibehalten. Aber nach meinen Erfahrungen erliegen Doktoranden sehr häufig der Gefahr, dass sie viel zu viel lesen und sich viel zu lange mit die­ser Phase aufhalten. Manche verlieren sich beim Lesen in der Breite der Fachliteratur und vergessen dabei ihre Themenstellung. Das Auswerten der Literatur und das Schreiben kommen darüber olt zu kurz.

Ich möchte Ihnen darum dringend empfehlen, sich um ökonomisches und effizientes Lesen zu bemühen. In der Anfangsphase des Projekts, bei der Themensuche, mag das freie Lesen zur ersten Orientierung noch sinnvoll sein. Man kann sich dadurch inspirieren lassen und neue Aspekte entdecken. Dennoch sollte man möglichst früh dazu übergehen, bewusst und gezielt zu lesen.

Beim Lesen kann man grundsätzlich zwei Methoden unterscheiden: das genießende Lesen, bei dem man mit lockerer Aufmerksamkeit ohne ein bestimmtes Ziel dem Text eines Autors folgt, die beschriebenen Bil­der, Szenen und Ideen in sich entstehen lässt und sich vielleicht auch von dessen literarischem Stil faszinieren lässt. Im Vordergrund steht dabei das Eintauchen in die Welt des Buches, die Bereitschaft, sich davon gefangen nehmen zu lassen. Es ist eine Art sinnliches Lesen mit emo­tionaler Beteiligung. Diese Herangehensweise kommt vorwiegend für Romanliteratur in Frage und nur selten für die Arbeit an einer Disserta­tion.


Eine Dissertation zu verfassen, erfordert eine Menge Schreibaufwand. In den geisteswissenschaftlichen Disziplinen ist dies - neben dem Lesen - die Hauptarbeit. Wenn man alle beschriebenen und bedruckten Blätter sammeln würde, die ein Doktorand im Laufe seiner Promotionszeit pro­duziert, dann hätte man am Ende einen beachtlichen Stapel oder einen Wald von fliegenden Blättern.

Bei Doktorarbeiten im naturwissenschaftlichen Bereich, in denen es um Experimente und Messungen im Labor geht, hat das Schreiben eher begleitende und ergänzende Funktion. Allerdings müssen auch in diesen Fällen Versuchspläne theoretisch begründet und erläutert, Ergebnisse interpretiert und Schlussfolgerungen dargelegt werden. Das bedeutet ebenfalls erheblichen Schreibaufwand.

Wesentlich mehr Schreibarbeit erfordern die Dissertationen, die sich mit vielen verschiedenen Theorien auseinander setzen müssen - wie zum Beispiel in den Gesellschaftswissenschaften - oder Doktorarbeiten in den Philologien, die Texte analysieren, interpretieren und vergleichend diskutieren. Für viele Doktoranden läuft das Projekt Doktorarbeit daher auf zwei bis fünf Jahre intensiver Schreibarbeit hinaus.

Diejenigen, die sich aus Lust am Schreiben zur Promotion entschlos­sen haben, wird das nicht schrecken. Anderen, für die das Schreiben lediglich ein notwendiges Mittel zum Zweck ist, um ihre Aufgabenstel­lung zu bewältigen - oder denen es gar nur auf den bloßen Doktortitel ankommt - wird die Aussicht weniger behagen.

Viele Doktoranden sind sich unsicher darüber, wie man das Schrei­ben angeht - wie man überhaupt von einem ersten Entwurf zu einer druckreifen Endfassung gelangt. Im Studium werden meist nur for­male Richtlinien für das Ablassen von Hausarbeiten und Examens­arbeiten, aber keine richtigen Schreibtechniken vermittelt. Da es an deutschen Universitäten - anders als an nordamerikanischen und britischen - in der Regel keine Kurse dazu gibt, sind Studierende in Deutschland auf ihre individuellen Schreibtalente angewiesen. In manchen Stildienfächern müssen sie ihre Fähigkeiten auch überhaupt erst zum Studienabschluss unter Beweis stellen. Sie haben vor dem Anfertigen der großen Diplomarbeit noch kaum praktische Erfahrun­gen gesammelt. In Anbetracht dessen ist es nicht weiter erstaunlich, dass viele Studierende Schreibängste entwickeln und gerade schrift­liche Arbeiten häufig vor sich herschieben (Rückert 2006). Abgabe­termine werden immer wieder hinausgezögert, man fängt erst auf den letzten Drücker an zu schreiben und versucht, die Arbeit dann in Nachtschichten zu bewältigen. Doktoranden, die sich besonders vor dem ersten Schritt scheuen, halten sich oft unnötig lange mit dem Literaturstudium oder mit extensiver Datenerhebung auf, ehe sie dazu übergehen, ihre Erkenntnisse schriftlich zu verarbeiten. Wenn man sie nach ihren Arbeitsprodukten fragt, bekommt man häufig auswei­chende Antworten wie zum Beispiel, dass sie noch nicht genügend Material ausgewertet hätten, um mit dem Schreiben zu beginnen - oder auch im Gegenteil, dass sie »schon alles im Kopf beisammen« hätten und es »nur noch runterschreiben« müssten. Beide Aussagen lassen auf eine ungünstige Einstellung zum Schreiben beziehungs­weise eine falsche Einschätzung dieser Aufgabe schließen.

Das vorliegende Kapitel soll dazu dienen, Ihnen eine positive Haltung zum Schreiben zu vermitteln. Sie sollen lernen, es als ständige, beglei­tende Arbeitsmethode kreativ zu nutzen.

Zunächst wird der Prozess an sich erläutert. Es wird aufgezeigt, wie viele Anforderungen und Ansprüche in das Schreiben eingehen kön­nen, sodass es anstrengend und beschwerlich wird. Das erzeugt einen Druck, der leicht Schreibblockaden verursachen kann. Ein wichtiges Mittel gegen Schreibprobleme ist das kreative Schreiben. Sie werden sich anhand einer Reihe von Techniken, die hier vorgestellt werden, selbst von seiner Wirkung überzeugen können. Unter anderem werden Sie die klassischen Methoden des Clustering und MindMappingkennen lernen, die den Ideenfluss zu einem Thema anregen und ganz leicht zum flie­ßenden Schreiben hinführen.

Mit kreativen Ideen allein ist es beim wissenschaftlichen Schreiben allerdings nicht getan. Deshalb werden anschließend die wesentlichen Standards und Regeln für diese Textsorte umrissen.

Sie werden angeleitet, das wissenschaftliche Schreiben als lebendigen Arbeitsprozess zu erfahren, an dem auch Ihre Gefühle beteiligt sind. Dazu werden Techniken vorgestellt, die die emotionale Seite in konst­ruktiver Weise einbeziehen. Es sind Übungen, bei denen Sie zum Bei­spiel unterschiedliche Perspektiven und Positionen zu Ihrem Thema einnehmen oder Ihren Text an verschiedene fiktive Adressaten rich­ten.


Das Konzept des kreativen Schreibens stammt aus dem anglo-amerikani- schen Sprachraum. Ursprünglich ging es dabei um literarisches Schreiben (Murray 1990). Bald fand der Ansatz jedoch auch Eingang in das Schrei­ben an den Hochschulen. Er wurde unter dem Begriff »writing across the curriculum« in alle Studienfächer integriert (vgl. Griffen 1985; McLeod 1988; von Werder 1992). In Deutschland ist man noch weit davon ent­fernt. Immerhin werden inzwischen an einigen Universitäten von Seiten der Studienberatung, der Hochschuldidaktik und von einzelnen Dozen­ten Schreibkurse für Studierende angeboten. Eingeführt und bekannt gemacht wurde das kreative wissenschaftliche Schreiben in Deutschland insbesondere durch Gabriele Rico, Lutz von Werder und Otto Kruse.

Nach Kruse geht es beim kreativen wissenschaftlichen Schreiben darum, »schreibend den Gegenstand zu erforschen und dabei die emo­tionalen und rationalen Bezüge gleichermaßen zur Geltung kommen zu lassen« (Kruse 1993, S. 13). Die Techniken des kreativen wissenschaft­lichen Schreibens regen dazu an, persönlichen Gedanken und Gefüh­len gegenüber einem Sachgegenstand Ausdruck zu geben und darüber »seine innere private Sprache« zu finden (von Werder 1992, S. 170 ff.) - die Sprache, in der man sich die Erkenntnis von der Sache erschließt und aneignet. Sie bildet die Basis und schlägt die Brücke zum wissenschaft­lichen Lernen und Arbeiten. Das Schreiben wird also nicht lediglich als Ausdrucksmittel gesehen, das dazu dient, wissenschaftliche Erkennt­nisse darzustellen. Es wird vielmehr als Medium im wissenschaftlichen Forschungsprozess selbst betrachtet. Schreibend lassen sich, wie Kruse es darstellt, Erkenntnisse gewinnen, vergleichen und strukturieren sowie auch diskutieren und kommunizieren (Kruse 1995, S. 13).

In meinen Workshops mit Doktoranden habe ich viele der Übungen zum kreativen und wissenschaftlichen Schreiben erprobt. Sie erfreuten sich bald sehr großer Beliebtheit und die Teilnehmer nutzten sie auch zu Hause bei ihrer Arbeit an der Dissertation. Die Techniken sind im Grunde sehr einfach, aber ausgesprochen wirkungsvoll.

  • Sie regen das kreative Denken an und erzeugen eine Menge spontaner Einfalle.
  • Sie sorgen nicht nur im Moment des Übens.für flüssiges Schreiben, sondern bewirken, dass es auch zur Gewohnheit wird.
  • Sie räumen Barrieren und Hindernisse aus dem Weg, indem sie den inneren Zensor vorläufig außer Kraft setzen.
  • Sie fördern die Konzentration auf einen Brennpunkt dadurch, dass die Aufgabe und die dafür vorgegebene Zeit klar begrenzt sind.
  • Sie regen Prozesse des Durchdenkens, Strukturierens und Gliederns an.
  • Sie fordern dazu heraus, die eigene Position zu klären und zu vertre­ten.
  • Sie erzeugen eine positive Einstellung zum Schreiben.

Die Doktorandinnen und Doktoranden in meinen Kursen berichteten, dass sie alle das Clustering, das MindMappingvmd weitere Übungen, die Sie noch kennen lernen werden, in ihr ständiges Repertoire an Hand­werkszeug aufgenommen hatten. Es half ihnen, Schwellen zu überwin­den und das Schreiben selbst besser in den Griff zu bekommen oder - wie eine Teilnehmerin es ausdrückte - »mit dem Schreiben flexibler und kontrollierter umzugehen«.

Ähnlich wie beim Lesen schwören auch beim Schreiben viele auf ihre gewohnte Methode. Wenn Sie mit den Ergebnissen Ihrer Schreibweise zufrieden sind, sollten Sie diese auch beibehalten. Aber das Durch­brechen von Gewohnheiten führt manchmal auch zu neuen positiven Erfahrungen.

Ein Gespräch mit Teilnehmern an meinem Workshop zeigte, wie unterschiedlich das Schreiben mit Stift oder am PC erlebt wird. Während die einen das Schreiben mit dem Tintenstift als angenehm locker, zum spontanen Niederschreiben von Gedanken einladend, erleben und das Schreiben am PC erst für die »Reinschrift« nutzen, betonen die anderen, sie seien daran gewöhnt, alles in den PC zu tippen; daher ginge ihnen das leichter von der Hand, als mit dem Kuli zu schreiben. Das Schreiben am PC ruft bei manchen eine Hemmschwelle hervor, die mit höheren Anfor­derungen verbunden ist. Außerdem kann das ständige Korrigieren, das der Computer nahelegt, den Fluss des Schreibens leicht blockieren.

Am besten, Sie probieren beide Möglichkeiten aus!

Ich möchte aber empfehlen, das Clustern auf jeden Fall mit dem Stift auf einem Blatt Papier zu versuchen. Nach meiner Erfahrung regt diese Form des Schreibens und Malens, mit der ein Bild der aktuell auftreten­den Gedanken zum Thema entsteht, in besonderer Weise den Prozess des assoziativen Produzierens von Ideen und ebenso die Verfertigung der Gedanken an. Diese Darstellungsweise führt bei den Übungen in mei­nen Workshops fast immer zu einer erstaunlich vielfältigen Betrachtung des anstehenden Themas. Der sich daran anschließende Schritt, in ein paar Minuten die wesentlichen Aspekte in ein paar Sätzen zusammen­zufassen, produziert dann meist auch recht gute Texte, die den Zusam­menhang erschließen.


Bei einem wissenschaftlichen Schreibprojekt sind je nach Arbeitsphase ganz unterschiedliche Arten des Schreibens gefordert. Zu Beginn geht es vorwiegend darum, Ideen und Argumente zu sammeln, sie zu klären und Bezüge herzustellen. Danach rückt dann das Ordnen und Herausarbei­ten von Strukturen in den Vordergrund.

Später müssen die einzelnen Kapitel entworfen und in einer ersten Rohfassung niedergeschrieben werden. Diese wird anschließend diffe­renziert ausgearbeitet. Darauf folgen dann Überarbeitungsschritte, für die man Urteile von Außenstehenden - Experten und anderen Kriti­kern - einholen sollte.

Im Folgenden werden Empfehlungen für die verschiedenen Phasen des Schreibens gegeben - dazu, wie die vorgeschlagenen Techniken sich darauf anwenden lassen, und dazu, welche weiteren Vorgehensweisen jeweils besonders geeignet sind.


Obwohl Doktoranden in der Regel über Erfahrungen mit wissen­schaftlichen Arbeiten verfügen, kann es ihnen doch passieren, dass sie in der Fülle ihres Materials den Überblick verlieren. Meist gelingt es nicht gleich im ersten Anlauf, eine vernünftige Ordnung herzustellen, die über eine bloße assoziative Aneinanderreihung von Gedanken hin­ausgeht. Oft ist harte Arbeit erforderlich, um herauszuarbeiten, wie die einzelnen, manchmal widersprüchlichen Ideen und Urteile in eine gemeinsame Struktur passen. Man muss dazu implizite Bedeutungen entschlüsseln und den Voraussetzungen auf den Grund gehen. Die Teil­nehmer meiner Doktoranden-Workshops klagen häufig darüber, dass es ihnen schwer fällt, die richtige Gliederung und Struktur für ihre Arbeit zu finden.

Gerade hierbei haben Cluster und Mind Maps sich als besonders hilfreich erwiesen. Mit ihrer Hilfe kann man Gliederungsaspekte und hierarchische Ordnungen inhaltlicher Elemente durch grafische Anord­nung und den Einsatz von Farben abbilden und weiterentwickeln. Diese Techniken fordern geradezu dazu auf, Zusammenhänge zu differenzie­ren und genau zu erfassen. Gleichzeitig führen sie den Gesamtzusam­menhang bildlich vor Augen.

Sehr nützlich ist auch der weitere Schritt, das angefertigte Mind Map anderen vorzustellen und zu erläutern. Am besten sucht man sich dazu einen Freund oder Kollegen aus demselben Fachgebiet. Aber auch ein fachfremder Zuhörer mit wachem Verstand kann schon eine große Hilfe sein. In meinen Doktoranden-Gruppen konnten mithilfe dieser Übung Blockaden überwunden und erfreuliche Lösungen gefunden werden. Manchmal, wenn ein Teilnehmer besonders festhing, erarbeitete die Gruppe das Mind Map sogar gemeinsam.

Wenn Sie zwischen verschiedenen Gliederungen hin- und hergerissen sind, dann könnten Sie sich zum Beispiel eine dynamische Version des Clusters oder Mind Maps anfertigen, indem Sie die Hauptgesichtspunkte oder Elemente Ihres Entwurfs auf Papier schreiben und ausschneiden. Diese Spots lassen sich dann arrangieren und nach Bedarf verschieben.

Wenn Ihnen die handschriftliche Fassung zu unordentlich erscheint, können Sie Mind Maps auch am Computer erstellen. Dazu eignen sich Präsentationsprogramme wie Power Point; es gibt aber auch spezielle Software wie beispielsweise Visio oder MindManager.

Halten Sie sich auf keinen Fall zu lange damit auf, die verschiedenen Möglichkeiten skeptisch gegeneinander abzuwägen. Geben Sie sich einen Ruck, und setzen Sie sich eine Zeitgrenze, bis zu der Sie entscheiden, mit welcher Alternative Sie dann weiterarbeiten.


Die Bedeutung von Feedback zur weiteren Verbesserung von ausgearbei­teten Kapiteln und Fassungen der Dissertation dürfte unbestritten sein. Um Rückmeldung einzuholen, muss der Verfasser allerdings bereit sein, sich von seinen Werkstücken zu trennen und sie zur Beurteilung freizuge­ben. Viele Doktoranden schrecken jedoch gerade davor zurück. Sie schie­ben diesen Schritt immer wieder vor sich her - meist weil sie fürchten, die Arbeit sei noch nicht gut oder wissenschaftlich genug. Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt ist eigentlich müßig. Man kann bereits aus Rückmel­dungen zum ersten Entwurf wertvolle Hinweise beziehen. Das Prinzip könnte daher lauten: »Je früher, desto besser.« Allerdings riskiert man gerade in einem frühen Stadium, dass erhebliche Schwächen der Arbeit aufgedeckt werden. Man sollte hier einerseits Rücksicht auf die eigenen Empfindlichkeiten nehmen, andererseits aber auch die eigenen Leistungs­ansprüche überprüfen: Die Rohfassung muss nicht perfekt sein und schon gar nicht jeglicher Kritik standhalten! Das wären unrealistische Erwar­tungen. Das Ziel sollte vielmehr sein, empirisch zu testen, welche Ein­wände und Gegenargumente die vorgelegte Argumentation provoziert.


Wenn es darum geht, Kritik anzunehmen, sollten Sie Rücksicht auf Ihre eigene Empfindlichkeit nehmen. Treffen Sie entsprechende Vor- sorge - zum Beispiel durch die Wahl Ihrer Kritiker. Der Erste muss ja nicht gleich der Doktorvater sein. Suchen Sie sich einen Feedback- Geber aus, der Ihnen wohlgesonnen ist und von dem Sie sachliche und konstruktive Kritik erwarten können. Vermeiden Sie übermäßig strenge und pedantische Kritiker. Wenn Sie diese in der Endphase Ihrer Dissertation nicht mehr umgehen können, weil sie zum Beispiel als Gutachter zuständig sind, dann sollten Sie zumindest vorher das Urteil von wohlwollenden Personen eingeholt haben, die Sie »auf­bauen« können.


Besonders wichtig und bedeutend ist natürlich die Beurteilung durch den Doktorvater. Schließlich ist er ja derjenige, der am Ende das Gutach­ten schreibt. Deshalb empfiehlt es sich auch, frühzeitig einen Gesprächs­kontakt zu ihm aufzubauen. Ideal wäre ein kontinuierlicher Dialog mit regelmäßigen Treffen und vereinbarten Terminen, bei denen fertige Teile der Arbeit diskutiert werden. Der Doktorvater übernimmt dabei die Rolle des kompetenten Gesprächspartners, der Anregung, kritischen Kommentar und manchmal auch Anleitung gibt. Manche Doktorväter scheuen sich allerdings vor der damit verbundenen Arbeit und reagieren eher ablehnend, wenn jemand ein solches Betreuungsverhältnis aufbauen will. Andere lehnen es aus Prinzip ab, weil sie meinen, ein Doktorand müsse sich weitgehend allein durchbeißen. Diejenigen unter meinen Doktoranden, die sehr intensiv von ihrem Doktorvater betreut wurden, waren ausgesprochen froh darüber und profitierten stark davon.

Es kommt auf einen Versuch an! Als Doktorand muss man manch­mal recht hartnäckig sein, um den Doktorvater für einen intensiven Gesprächskontakt zu gewinnen. Eine Doktorandin berichtete, dass sie ihren Doktorvater erst dazu erziehen musste, die vereinbarten Termine einzuhalten und die Ausarbeitungen, die sie ihm vorlegte, auch wirklich vorher zu lesen. Sie schickte ihm schließlich rechtzeitig Erinnerungen und freundliche Mahnungen per E-Mail und spannte zusätzlich auch seine Sekretärin ein. Der intensive Kontakt erleichterte es ihr, sich von überflüssigen und redundanten Teilen ihrer Arbeit zu lösen und sich immer mehr auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Andere Doktoranden beharren darauf, den Doktorvater nur ein bis zwei Mal im Jahr aufzusuchen - zum Teil aus Rücksicht auf seinen aus­gefüllten Arbeitsalltag, zum Teil aber auch aus dem Bedürfnis heraus, ihre Sache zunächst für sich allein auszuarbeiten. Meist deutet eine solche defensive Zurückhaltung allerdings daraufhin, dass jemand sich scheut, sich der gefürchteten Kritik auszusetzen. Manche weichen dem Kontakt sogar aus, wenn der Doktorvater selbst die Initiative dazu ergreift. Wie bereits besprochen, entstehen derartige Ängste meist aus überzogenen Ansprüchen und einem angeschlagenen Selbstwertgefühl heraus. Man überwindet sie am besten, indem man den Schritt möglichst frühzeitig wagt.